Wie die Suizidprävention auf dem Lebensweg unterstützt

„Nimm dir das Leben, und lass es nicht mehr los. Denn alles, was du hast, ist dieses eine bloß.“

Udo Lindenberg

Suizid ist allgegenwärtig und doch tabuisiert.

Heute ist der internationale Tag der Suizidprävention, der seit 2003 auf die hohe Zahl von Suiziden und die Möglichkeiten der Prävention aufmerksam macht. Die Anzahl der Suizide ist im Jahr 2023 um knapp zwei Prozent auf 10.304 Fälle gestiegen. Sie verteilt sich auf 7.478 Männer (72,6%) und 2.826 Frauen (27,4%). Besonders auffällig ist der starke Anstieg der Suizide durch Medikamente, die um 85 Prozent seit 2020 auf 1.871 Fälle gestiegen sind. Dieser Zuwachs könnte mit der zunehmenden Zahl assistierter Suizide in Zusammenhang stehen, die in der offiziellen Statistik weiterhin nicht gesondert ausgewiesen werden.

Die Todessehnsucht als ungebetener Gast klopf öfter an der Tür, als man denkt. Es wird geschätzt, dass jede suizidale Handlung etwa 130 Personen im nahen Umkreis betrifft, wie Familienangehörige, Freund*innen und auch Kolleg*innen und Vorgesetzte. Der Suizid oder die Angst davor stellen eine große Belastung für das Umfeld dar. Der tiefempfundene Beziehungsabbruch hinterlässt bei den Zugehörigen ein Gefühlschaos aus Ohnmacht, Wut und Hilflosigkeit. Schuldfragen und die Antwortsuche nach dem Warum lassen die Gedanken endlos kreisen und schlicht verzweifeln. Und trotzdem wird über Suizid und die Folgen wenig gesprochen. Im Angesicht wird oft Stillschweigen die Devise, und die Verunsicherung nimmt weiter zu. Nur was, wenn das Schweigen eine Mauer baut? Und keiner mit einem darüber spricht?

es braucht einen Gesprächsweg, der von Wohlwollen geprägt ist.

Es besteht ein enger Zusammenhang zwischen psychischen Erkrankungen und Suizid. Suizidgedanken und -impulse sind ein häufiges Symptom beispielsweise bei Depressionen und machen die Krankheit oft lebensbedrohlich. Und gleichzeitig besteht die Gefahr, dass die Einengung der Suizidprävention auf die Diagnostik und Behandlung psychiatrischer Erkrankungen zu kurz greift.

Einige Hinterbliebene haben mir in Gesprächen berichtet, dass die an Suizid Verstorbenen im Vorfeld an schweren körperlichen Erkrankungen und seelischen Krisen litten. Neben einer psychiatrischen Morbidität können dies auch Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit in einer krisenhaften Lebenssituation, fehlender sozialer Zusammenhalt, Einsamkeit, Angst vor Strafe, Scham und manches andere sein.

Es gibt bestimmte Konstellationen von inneren und/oder äußeren Ereignissen, die zu Perspektivlosigkeit und unaushaltbaren psychischen Schmerzen führen. So kann auch ein trauriger Verlust eines geliebten Menschen zu einer existenziellen Krise werden, in dem das Überleben unmöglich und der Sinn im Leben verloren scheint. Es ist also weniger die – krankheitsbedingte – Suche nach dem Tod als die fehlende Lebensperspektive und der Schmerz, die zur Suizidhandlung führen.

Nicht immer lassen sich Suizide verhindern, leider. Wahrscheinlich hätte es in zahlreichen Fällen eine andere Lösung gegeben. Denn Menschen wollen in der Regel nicht tot sein, sie wollen nur nicht so weiterleben, wie sie es gerade tun müssen. Das wertfreie Darüber reden und das Anerkennen von tiefem seelischem Schmerz können Wege sein, das Schweigen zu brechen, die emotionale Mischung wahrzunehmen und auf mögliche Selbstgefährdungen einfühlsam und stabilisierend zu reagieren. In Gesprächen lässt sich das «Warum?» der suizidalen Verhaltensweise ergründen. Letztlich wollen wir verstehen: Was für eine Funktion hat der Todeswunsch? Welche Sehnsucht steckt persönlich dahinter? Das sind sehr individuelle Aspekte, die in die persönliche Lebensgeschichte eingebettet sind. Wenn sich diese nachvollziehen lassen, ist das schon der erste Schritt in der Prävention bzw. Behandlung.

Die Suizidprävention geht uns alle etwas an.

Solange Suizide tabuisiert werden, solange werden Menschen Mühe haben, sich jemandem anzuvertrauen. Die Angst bleibt, deswegen verurteilt zu werden. In diesem Sinne ist es von Nöten darüber zu sprechen, inhaltlich bspw. an Schulen, Pflegeeinrichtungen aufzuklären, zu sensibilisieren und Unsicherheiten abzubauen. Denn die Suizidprävention ist keine rein medizinische, sondern eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Bevor es zu spät wird, denn das Leben ist kostbar.

Wenn Sie sich selbst oder Menschen, die Sie kennen, in einer akuten Krise befinden, wenden Sie sich bitte an Ihren behandelnden Arzt oder Psychotherapeuten, die nächste psychiatrische Klinik oder wählen Sie den Notruf unter 112. Sie erreichen die Telefonseelsorge rund um die Uhr und kostenfrei unter 0800-111 0 111 oder 0800-111 0 222. Außerdem können Sie sich an unsere überregionalen Krisentelefone wenden oder nach Krisendiensten in Ihrer Nähe suchen.

Weiter
Weiter

Wie die Vergänglichkeit zum Leben gehört